Sonntag, Oktober 24, 2004

Das Wesen der Langeweile

Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genazino hat am Samstag in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis erhalten. Da ich mich freue, von entsprechend als vernünftig anerkannten Personen die eigene Meinung zu hören, mache ich sie gleich mal publik:

„Wir Heutigen kennen Langeweile als verscheuchte Langeweile. Unsere Erlebnisplaner haben sie zu unserem Feind erklärt. Als Ersatz bieten sie uns hochdosierte Fremdunterhaltung an: die permanente Fernsehshow, die Massenparty, der Urlaub, die Promiskuität, der Konsum - und so weiter”, beklagte Genazino - und weiter: „Nicht so Büchner. Bei ihm wird Langeweile erkennungsdienstlich behandelt; das heißt vor allem: sie wird dargestellt, untersucht und zerlegt, oft so lange, bis sie einer neuen Beschäftigung weicht, die unversehens aus dem Stillstand hervorgeht. Für derartig geduldige Transformationen fehlt uns heute die Gelassenheit und die Bildung.”

Wichtig ist, dass die Langeweile nicht als endgültiges Ziel angesehen wird. Vielmehr ist es ein Zustand auf der Suche nach dem eigenen Wesen.

In die Richtung geht auch eine der zentralen Aussagen des Daoismus:

Die Abwesenheit von Wünschen führt zur Ruhe,
die Welt wird, von selbst, ihr Gleichgewicht finden.

Dazu habe ich in dem Buch "China" von Konrad Seitz gelesen: Das daoistische Ideal ist der ´verborgene Meister´, der, statt nach Ruhm und Ansehen in der Gesellschaft zu streben, in Unbedeutendheit, aber eben auch in Ungebundenheit sein Wesen entfaltet - so ´wie die Schildkröte, die lieber ihren Schwanz durch den Schlamm schleppt, als dass sie ihren Panzer im Tempel ehren lässt´ (nämlich bei der Orakelbefragung in der Shang-Zeit, für die man die Panzer getöteter Schildkröten im Feuer erhitzte). (S. 41)

Keine Kommentare: