Wenn es Nacht wird in Nanjing gehe ich laufen. Hier auf dem Campus befindet sich ein Sportplatz und dort drehe ich meine Runden. Meistens zehn, das sollte genügen. In Mannheim bin ich glaube ich mehr und länger gelaufen, was aber mit dem schönen Rheinufer zu tun hat.
Wenn es Nacht wird in einer Stadt, dann hat sie auch einen anderen Charakter. Jede Stadt hat ihren Tag- und ihren Nachtcharakter, genau wie wir Menschen. Nachts wird der Himmel hier nie dunkel, man sieht keine Sterne und gegen die Dunkelheit wird mit bunter Beleuchtung angekämpft. Die Bäume und das Gras werden grün beleuchtet, manchmal wird im Eingangsbereich des Hotels eine bunte Beleuchtung angemacht. Auch die Hochhäuser - von Wolkenkratzern kann man noch nicht sprechen - sind hell und blinken und strahlen bunt. Manchmal nicht. Vielleicht muss Strom gespart werden.
Aber gestern war es darüber hinaus nass und das Licht war diffus. Vergleichsweise dunkel ist es auf dem Sportplatz und ich war dort ganz allein. Normalerweise sind noch andere dort, die Sport machen, laufen, oder auf den Bahnen zu zweit oder alleine spazieren gehen. Auf den inneren Bahnen stand das Wasser, weil die Abflüsse nicht funktionieren und in der Sporthalle, die auf Grund der vielen Menschen, die dieses Land hervorgebracht hat, zweistöckig ist, brannte noch Licht herüber.
Auf der Zuschauertribüne treffen sich immer ein paar Leute, weil man dort unter einem Dach sitzen kann und manche mögen die Atmosphäre von leeren Sportstadien. Also laufe ich meine Runden und befinde mich in relativer Dunkelheit und um den Platz herum glüht und leuchtet die Stadt.
In der Ferne höre ich die Züge, deren Horn klingt, als wäre es ein Zug aus Amerika. Sie hören sich so an, wie die Züge, die ich gehört habe, als ich nachts wachgelegen habe, die den Hudson runter fahren, von Kanada kommend oder in die andere Richtung und ich frage mich, wie es den Fahrern gerade geht, wo sie herkommen und ob sie froh sind, dort nicht sein zu müssen oder sich zurücksehnen.
Dann denke ich, ob ich nicht in den tiefen und weiten Pfützen laufen will, denn das ist doch eines unserer frühsten kindlichen Bedürfnisse und ganz loslassen tun sie einen nicht. Aber als Erwachsener bedenkt man, dass die Schuhe wieder gesäubert werden müssen, dass man sich erkälten kann. Also laufe ich auf dem Trockenen weiter.
Und im Blick immer wieder das Sheraton in der Ferne, wo wir zum all-you-can-eat Brasilianer gehen, wo es BBQ bis zum Abwinken gibt - wobei das Abwinken auch oft nicht richtig verstanden wird. Auch wenn man schon den Nachtisch - also bunte Sahnetorten - zu sich nimmt, wollen sie einem noch mehr Fleisch auf den Teller packen. Also werde ich jede Halbrunde daran erinnert, warum ich hier bin. Ein wenig paradox ist es, das gebe ich zu.
Und dann bin ich in der zehnten Runde und denke, dass ich jetzt eh fertig bin und durchaus in den Pfützen laufen kann. Das habe ich auch gemacht und ist immer noch so spaßig wie am Anfang. Warum eigentlich? Und dann bläst also der Wind ein wenig und es wird ganz nass und ich überlege mir, wo der Wind herkommt, von den Ebenen weit entfernt der Küste, oder vom chinesischen Meer, rieche ich Salz? Na, hier in Nanjing bestimmt nicht. Und wo kommt das Wasser her? Treffen sich Wasser und Wind hier das erste mal?
Jedenfalls war das Laufen gestern wie immer und auch wieder nicht. Manchmal werden durch die alltäglichen Situationen merkwürdige Stimmungen produziert, die keine Inszenierung schaffen kann, aus der Verbindung von gedanklichen Verknüpfungen und Autobiographie geboren werden und an denen man auch andere nicht ganz teilhaben lassen kann, auch wenn man einen halbwegs kitschigen Text verfasst wie diesen hier.
Mittwoch, November 10, 2004
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